Von Dieter Hanisch, Kiel
23.06.2014

Kutter des schlechten Gewissens

Während der »Kieler Woche« soll ein Flüchtlingsmuseumsschiff die Besucher aufrütteln

Das alljährliche Seglerfest in der Kieler Förde zieht viele Besucher an. Diesen will das Kunstschiff »M/S Anton« das europäische Flüchtlingsproblem nahebringen.
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Installation auf der M/S Anton

70 Bronzeskulpturen wie Schaufensterpuppen, alle mit dunklem Gesichtsteint, auf einem kleinen dänischen Kutter: Die M/S Anton liegt zur am Samstag gestarteten Kieler Woche als Mahnmal für das Schicksal afrikanischer Bootsflüchtlinge im Mittelmeer in der Innenförde der Landeshauptstadt. Die Aktion soll die Besucherinnen und Besucher der »Kieler Woche« aufrütteln und aufklären.

Zur Eröffnung kamen unter anderem Nordkirchen-Sprengelbischof Gothart Magaard sowie Schleswig-Holsteins Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt, der als Ex-Kapitän des Notärzteschiffes Cap Anamur bestens mit der Thematik vertraut ist.

Vor genau zehn Jahren hatte Schmidt nämlich 37 im Mittelmeer dem Tod geweihte Flüchtlinge an Bord genommen, woraufhin er von den italienischen Behörden kriminalisiert worden war. Erst 2009 sprach man ihn vom zynischen Vorwurf des »Menschenhandels« frei.

Das Schicksal der Bootsflüchtlinge, die von Afrika übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen versuchen, hat sich in den vergangenen Jahren nachhaltig auf die Agenda gedrängt. Es vergeht inzwischen kaum eine Woche, in der in den Nachrichten nicht von Lampedusa die Rede ist - jener zu Italien gehörenden Insel, auf die sich die neuen Boatpeople auf ihrer Flucht zu retten versuchen, allen EU-Grenzpatrouillen durch Frontex und Eurosur sowie der tödlichen Gefahr, die bei ungünstigem Wetter droht, zum Trotz.

Über 10 000 dieser Flüchtlinge sind nach Schätzungen von Menschenrechtlern seit 1990 ertrunken. Flüchtlingsinitiativen werfen den Grenzschutzbehörden in diesem Zusammenhang vor, bei Seenotlagen schon mal wegzusehen, statt zu helfen. Auch dieses heikle Thema wird auf der M/S Anton thematisiert. Für die nächsten Tage haben sich bereits mehrere Schulklassen angekündigt, um sich an Bord umzusehen. Aber auch allen anderen Besuchern der Kieler Woche soll die schwimmende Ausstellung die Augen für das sensible Thema öffnen - zwischen all den Feieraktivitäten. Am 1. und 2. Juli soll das Schiff dann in Eckernförde sowie am 5. und 6. Juli in Flensburg Station machen.

Die Aktion startete ursprünglich Ende 2009 als ein Beitrag zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Seither ankerte der 1948 in den Dienst gestellte, knapp 14 Meter lange frühere Fischerkahn aber auch schon in Stockholm oder im vergangenen Jahr beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg. Die 70 Figuren an Bord, eingehüllt in schlichte Decken und Stofftücher, stammen vom dänischen Künstler Jens Galschiot aus Odense. Seine Installation ist begehrt. Die jüngsten Anfragen liegen aus Husum und Bremen vor. Immer wieder bestückt der Bildhauer die M/S Anton, die seit 2001 keine Fische mehr aus den Meeren zieht, aber noch gelegentlich für die Fischereiforschung unterwegs ist.

Die Initiatoren wollen in diesem Zusammenhang aber für auf Fehlentwicklungen in der Fischereipolitik sensibilisieren. Etwa für das Los vieler ehemaliger somalischer Fischer, die ihre Existenz aufgeben mussten und von denen der eine oder andere so zum Piraten wurde. Doch auch vor der westafrikanischen Küste werde vielen einheimischen Fischern die Lebensgrundlage genommen, indem moderne Hochseetrawler deren Gewässer leerfischen.

Angesichts der zum Weltflüchtlingstag am Freitag vom UN-Flüchtlingswerk veröffentlichten Zahl von über 51 Millionen Flüchtlingen Ende 2013 kritisierte Bischof Magaard in seiner Ansprache die geringe Bereitschaft der europäischen Staaten, selbst tätig zu werden und Flüchtlinge aufzunehmen.

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