Das Schandmal In Berlin

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Odense, 26. März 1999

Liebe Freunde,

Ich bin ein dänischer Bildhauer, der ich ausser der Herstellung ‚herkömmlicher‘ Skulpturen aus Kupfer und Bronze, mit internationalen Kunstmanifestationen tätig bin, die sich mit der ethischen Grundlage unserer Zivilisation befassen.

In diesem Zusammenhang habe ich entschieden, eine Skulptur mit dem Titel Das Schandmal auf einem zentralen Standort in Berlin zu errichten. Die Skulptur ist 8 m hoch und besteht aus über 5o verzerrten Menschenkörpern. Sie soll als ein Mahnmal der nationalsozialistischen Massenvernichtung errichtet werden, siehe beigelegte Beschreibung.

Ich schreibe Ihnen um einzuladen Sie an dieser Aufgabe mitzuwirken. Die Skulptur die für die Aufstellung in Berlin gedacht ist steht schon in meiner Werkstatt bereit. Jedoch, als ich begann meine Gedanken über die Massenvernichtung zu formulieren, wurde mir klar, dass an meinem Kunstwerk eine Dimension fehle, nämlich die Mitwirkung derjenigen die den Terror und die Verfolgung am eigenen Leibe erlebt haben. Gerade eine Skulptur zum Gedenken dieses anti-humanistischen Verbrechens erfordert die Mitwirkung von Augenzeugen. Ich bitte Sie, mir mit dieser Aufgabe zu helfen.

Das Schandmal wird auf einer quadratischen Plattform von 10 x 10 m Grösse aufgestellt. Die Plattform wird vollständig von goldenen Bronzeplatten bedeckt. In diese werden etwa 10 Millionen Striche eingeätzt, einer für jedes Opfer der Massenvernichtung. Die Striche werden in Fünfergruppen angeordnet, je vier in einer Reihe mit einem Querstrich, wie man sie beim Zählen verwendet. Diese Striche füllen die Fläche der Plattform völlig aus.

Die vielen Millionen Striche werden von Überlebenden der KZ-Lager angebracht, die auf diese Weise das Schicksal ihrer Mitgefangenen sozusagen in die Platte einmeißeln, als ein Zeugnis aus der Tiefe der Geschichte, das auf diese Weise den Nachgeborenen übergeben wird. Jeder der ehemaligen Gefangenen ‚unterzeichnet‘ mit seiner Gefangenennummer, dem Namen des KZ und dem Zeichen, das auf der Jacke getragen oder gebrandmarkt wurde (Kennzeichnungen für die jeweiligen Gruppen: Juden, Zigeuner, Homosexuelle usw.) Nur durch diese Unterschriften wird die Monotonie der Striche unterbrochen.

Auf diese Weise wird die Erinnerung an die Opfer ein integraler Teil des Mahnmals.

Dieses Schandmal ist kein Ersatz des ständig diskutierten offiziellen Holocaust-Mahnmal. Es ist eine persönliche Aussage eines Künstlers in enger Zusammenarbeit mit den überlebenden Opfern die zur Herstellung der Unterlage mitgewirkt haben. Wir stellen also die Skulptur im Rahmen unserer eigenen Tagesordnung auf. Keine behördlichen, wirtschaftlichen oder religiösen Interessen stecken dahinter. Es handelt sich nur um eine Aussage von Menschen, die die nationalsozialistische Massenvernichtung für das grösste Verbrechen unserer Zivilisation halten, und daher finden dass diese Greueltat verdient durch diesen Nobelpreis der Schande angeprangert zu werden.

Die Skulptur soll so bald wie möglich in Berlin, der neuen Hauptstadt Deutschlands, errichtet werden. Wo das ganz genau geschehen soll, ist noch ungewiss, aber wir versuchen in Zusammenarbeit mit ehemaligen KZ-Häftlingen in Berlin einen geeigneten Standort zu finden. Auf gar keinen Fall will ich mich in die zermürbende Diskussion über ein Holocaust-Mahnmal verstricken. Wir errichten unser Monument jetzt, nicht nur zum Gedenken der Juden, sondern aller Gruppen die zur Vernichtung ausersehen wurden. Es wäre ja sinnwidrig wenn eben ein Monument das die rassische Sortierung von Menschen durch das NS-Regime anprangern soll, nur Opfergruppen gedenken sollte die auf rassische Grundlage auserwählt sind.

Sind Sie bereit, mir mit diesem Unterfangen zu helfen?

Ich habe es nötig mit möglichst vielen ehemaligen KZ-Häftlingen in Verbindung zu kommen, die zum Projekt mitwirken wollen, dadurch dass sie ihre Zeugnisse in Form von Strichen in die Bronzeplatten eingravieren. Ich erziele mit Personen in Verbindung zu kommen, die möglichst viele Opfergruppen repräsentieren und die sich in vielen verschiedenen Ländern befinden. Ich hoffe dass Verbände ehemaliger Häftlinge, Forschungsstellen und Museen der NS-Vergangenheit und ähnliche Organisationen in ganz Europa mir helfen wollen, diese Aufgabe zu organisieren. Dass kann dadurch geschehen dass Sie eine Kopie von diesem Brief und die beigelegten Unterlagen weiterleiten an Mitglieder und andere Organisationen und Einzelpersonen die möglicherweise mitwirken wollen, oder dadurch dass Sie uns relevante Adressen zuschickken. Für eine solche Hilfe werde ich aüsserst dankbar sein.

Von dem Vorgang mit dem Eingravieren der Striche habe ich mir folgendes vorgestelt:

  1. Ein Brief wird allen Personen zugeschickt die mitwirken wollen.
  2. Wir machen uns einen Überblick davon wieviel jeder beitragen kann und wo die Helfer sich befinden.
  3. Wir senden die speziellen Papierbögen mit der Post aus zu den einzelnen Städten und Ländern. Die ehemaligen Häftlinge treffen sich um die Striche zu zeichnen.
  4. Die Papierbögen werden zu unserer Werkstatt zurückgeschickt. Hier findet der technische Vorgang statt, wodurch die Striche fotografisch zu den Platten übertragen und eingeätzt werden.
  5. Die bronzene Unterlage wird auf einem Betonfundament gefestigt, dass hiermit bereit steht für die Aufstellung in Berlin.

Auf diese Weise haben wir zusammen ein Kunstwerk geschaffen, das die Massenvernichtung verdeutlichen und der Opfer gedenken soll.

Alle Ausgaben in Verbindung mit Versand, Materialien usw. werden von Jens Galschiot bezahlt. Der Künstler wird ständig alle Mitwirkenden über den Verlauf des Projektes orientieren, wie weit wir gekommen sind, wo dass Schandmal errichtet werden soll usw. Alle werden selbstverständlich zur Einweihung eingeladen. Die damit verbundenen Kosten muss jeder aber selber tragen, weil ich ein nicht besonders begüterter philanthropischer Bildhauer bin, der ich es nur mit knapper Not schaffe, meine Projekte zu finanzieren. Dieses Projekt finanziere ich hauptsächlich aus eigener Tasche, durch den Verkauf meiner ‚herkömmlicher‘ Skulpturen aus Kupfer und Bronze. Darüber hinaus hat ein Freund von mir (der ist Schauspieler in einem Kindertheater und Vorsitzender eines Fonds, der Funch-Fonds) einen Beitrag von 6.500 DM für die bronzene Unterlage zur Verfügung gestellt.

Ich hoffe dass Sie zu diesem Unterfangen mitwirken wollen und ich werde mich freuen, wenn Sie mir möglichst bald antworten möchten, so dass ich wissen kann ob wir zusammen dieses Projekt verwirklichen können.

Wir legen einige Unterlagen bei, über das Schandmal und unsere sonstige Tätigkeiten. Wenn Sie daran interessiert sind, senden wir Ihnen gern zusätzliche Unterlagen, darunter ein Video. Sie können mich gerne kontaktieren, wenn Sie irgendwelche Fragen oder Vorschläge zum Projekt haben. Zusätzliche Informationen und zahlreiche Fotos sind im Internet unter http://www.aidoh.dk zu finden.

Wir hören gerne möglichst bald von Ihnen. Auch eine sofortige, unmittelbare und sehr kurzgefasste Reaktion - positiv oder negativ - wird von grossem Nutzen sein, damit wir gleich beurteilen können ob wir ausreichende Unterstützung finden um unser Projekt zu verwirklichen.


Mit freundlichen Grüssen

Jens Galschiot      und          Vagn Frausing

(Skulpteur, spricht englisch) (Internationaler Sekretär, spricht u.a. deutsch)


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    Categories: The Pillar of Shame in Berlin | 1996-?: The Pillar of Shame
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    Type: Letters from us
    Locations: Berlin, Germany | Berlin, Germany
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